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MIKE H. KEMPER

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Die Wahrheit liegt in der Salami !

Andreas war ein Säufer und er war mein Kumpel. So 15 Jahre waren wir wohl. Am Brunnen in Wuppertal, noch bevor es zum sich zum BRD weit bekanntem Punker Treff mauserte hingen wir Schüler dort jeden Samstag ab 12Uhr ab. So ein paar hundert waren es schon. War cool dort. Quatschen, rauchen sich für später verabreden. Wie wir uns kennen lernten weiß ich erstens nicht mehr und zweitens völlig unwichtig. Und 34 Jahre später starb er dann, wie unser gemeinsamer Arzt Freund Hace mir mitteilte, am Poker Abend, jetzt für immer ohne ihn, an Leberversagen und inneren Blutungen, klassisch halt. Mitpokern ließen wir ihn dann schon nicht mehr. 1993 hatte Andi den manchmal sogar regelmäßigen Poker Abend ins Leben gerufen, kreativ halt. Aber irgendwann, so ab 2005 oder so, lud ihn keiner mehr ein. Denn er kam schon immer besoffen an und leider, immer öfter, machte er dann auf aggressiv und ach so künstlerisch und die Kunst darf ja alles, solange sie irgendetwas auslöst, auch wenn es Ablehnung ist. Is ja auch was dran, stimmt schon, nur muss Mensch es sich nicht reinziehen, die Wahl hatten wir und deshalb spielten wir ohne ihn, ging auch. Eigentlich überraschend, das es ohne ihn ging, den ohne jeden Zweifel war er Dreh und Angelpunkt, das Zentrum, um ihn spielte die Geschichte. Wenns ein guter Abend war hatte er Brötchen, seine kleinen Frikadellen, Gurken usw., vorbereitet. Ab und zu auch neue Spieler, meistens dann auch irgendwie Künstler, und die waren dann auch interessant, lustig oder aber zumindest bemerkenswert, im Negativen meine ich jetzt. Aber trotzdem. Einmal besuchte ich ihn im Krankenhaus, irgendwas am Knie, angebrochen oder so was. Einzelzimmer, Papa is ja reich, und so blablabla und dann:
-Hab mich auf die Fresse gelegt und es hat geknackt. Ja sicher im Suff. Von ner Disco, tolle Party. Wen ich dauernd feire und trinke und Frauen am Start habe, passiert so was halt gelegentlich. Kollateral Schaden, hahahaha.-
Möglicherweise sah er einen Vorwurf auf meinem Gesicht.
-Feiern, Frauen mit tollen Sex, keine Scheiß Job und Spaß am Leben. Will das nicht jeder echte Mann ? Willst Du das nicht ? Und ich mach es!-
Seine Kunst gefiel mir, ich weiß nicht warum. Nicht immer megaturboobertittengeilsuper gut, aber nie Scheiße, und eben meistens wirklich gut. Er war ein Guter.
Irgendwann als angesagtester Wuppertaler Künstler etabliert erhielt er auch, zu recht, den höchsten Wuppertaler Kunst Preis, sehr schön mit 10000 DM dotiert.
Ne Stange Geld für mich, für ihn nebensächlich. Normalerweise aber nur der Anfang. Normalerweise, bei der ehrenvollen Verleihung, im Festsaal, mit dem Oberbürgermeister, dem Stadtsparkassen und Deutsche Bank und Bayer und Mercedes Direktor und den reichen und Kunst beflissenen Industriellen und den anderen Künstlern und dem Uni Professor undundund, anwesend, wurde gelobt und Reden gehalten und künstlerisch Wichtiges gesagt. Und normalerweise durften die dann danach alle mit ihm in sein Atelier und nach Herzenslust seine Arbeiten kaufen. So im Schnitt kamen dann noch 30, 40, 50000 und noch mehr zusammen, das lohnte sich dann schon.
Wegen solchen Sachen liebte ich ihn dann, denn normal wollte er nie sein und brauchte sich auch dahingehend nie Sorgen machen. Er tauchte da richtig besoffen auf, da gibt es Unterschiede.
Es war die Zeit des Jugoslawischen Bürgerkriegs mit all den anhängenden Problemen wie Flüchtlinge und Asylbewerber, auch in unserer auf bestehende Werte beharrende Stadt.
Und dann legte er bei seiner Dankesrede los. Was für scheinheilige, miese kleine Arschlöcher denn da vor ihm saßen. Die müssten doch alles viel besser machen. Anstatt sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und sich so generös zu empfinden.
Ok, irgendwo hatte er auch recht, aber irgendwo auch nicht. Ist ein bisschen Hilfe schlecht, weil es auch mehr hätte sein können ? Und außerdem, mein lieber Andi, bei dir in deiner Wohnung habe ich keine Flüchtlingsfamilie wohnen sehen. Da kam kein Einziger in sein Atelier und kein einziges Bild wurde gekauft.
Mit dem Saufen, das war wohl eine sehr typischer Verlauf. So nach 20, 30 Jahren ändert sich so manches. Wieder einmal ins Krankenhaus eingeliefert, wieder aufem Weg nach Hause auf ner Treppe gestolpert und mit dem Kopf auf den Granit geknallt hat er nur, laut Hace, überlebt, da er schon so lange soff und seine Gehirnmasse zwischenzeitlich so geschrumpft und sich verkleinert hatte das der Aufprall sich in dem so gebildeten leerem Raum zwischen Schädeldecke und Gehirn genug ab pufferte und milderte so das ein tödlicher Schaden ausblieb.
Bevor die Mauer fiel fuhren er und ich nach Berlin unter anderem um einen Cousin von ihm in Ost Berlin zu besuchen. Ich weiß nicht ob es illegal in der BRD oder der DDR war ein Auto mit kaputten Rückwärtsgang zu fahren, interessierte uns auch wenig. Ein großer Ford M, damals cool, aber eben auch etwas schwerer, aber dafür war ich dann da, aus der Park Bucht schieben wenn wir keinen mit nach vorne Ausfahr Garantie fanden. Als Ausländer durfte ich nur über Checkpoint Charlie rein, und dann auch nur für 24 Stunden, und natürlich auch nur mit Zwangsumtausch, jaja, so waren die Zeiten damals. Der Cousin war nett, in unserem Alter, so 23 oder so. Mit seiner Freundin wohnte er in einer ganz normalen Wohnung, nicht anders als in einer Westwohnung, und zahlte 24 Mark Monatsmiete, etwas mehr als bei uns ein Kasten Bier kostete. Und dann aßen wir Abendbrot zusammen. Ne Flasche Bier, Butter, Brot und so, und auch ne schöne Salami gab es, ich weiß nicht ob extra für uns ausgepackt. Und die schnitt der Cousin dann auf und gleich in Butterbrot gerechten Scheiben, ganz wie bei uns im Westen. Aber einen Unterschied gab es dann doch. Die Salamischeiben hatten alle ein kleines Loch in der Mitte. Jetzt nicht ein Riesenloch, wo die Scheibe nur aus Rand bestand, aber doch so ein Loch ungefähr 5-10% der Gesamtmasse ausmachend, außer an den beiden Enden, die waren voll. Alle Drei schauten wir auf die Scheiben auf dem Teller auf dem Küchentisch in der Wohnung in Ost Berlin in Ost Deutschland. -Die Salami hat ja ein Loch in der Mitte - stellte, und einige Sekunden in totaler Überraschung ob des ungewohnten Anblicks waren durchaus vergangen, Andi in ernsten Worten fest.Alle Drei wussten gleichzeitig die Erklärung, und dem Cousin, obwohl natürlich absolut schuldlos und auch kein bisschen fanatisch, wurde die Sache sofort unangenehm und er schämte sich für sein Land. In einem Wort: Planwirtschaft. In drei Wörtern: nicht funktionierende Planwirtschaft.
In der guten alten DDR versuchte und musste, da von "oben" vorgeben, die Salami Fabrik im Monat 5000 Salami Stangen für die arbeiteten Bevölkerung herstellen um ihr vorgeschriebenes und für die Allgemeinwohl unbedingt nötige Konsum Menge und Abwechsungsreichtum sicher zu stellen.
Das da die tatsächlich vom volkseigenem Kombinat Mischfleisch angelieferte Ware nicht ausreichte um alle Salami bis ins Letzte auszufüllen, durfte von diesem Ziel nicht ablenken.
Kurzum wurden dann alle 5000 mit Loch ausgeliefert.
Die vorgeschrieben Stückzahl wurde nachweislich hergestellt.
Etwaige Beschwerden von unverbesserlichen und offensichtlich der Völlerei verfallenen Mitbürgern und damit Mitbesitzern und folglich Mitschuldigen konnte gelassen entgegen gesehen werden und wurden im extrem Fall als potenziellen Staatsfeind der Stasi zur weiterführenden Erziehung empfohlen.


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